Woher kommt die menschliche Fähigkeit, sich selbst bewusst zu sein und über sich nachdenken zu können?
Viele Menschen interessieren die Faktoren, die zum Zustandekommen des subjektiven Ich-Empfindens beitragen. Um diese besser verstehen zu können, ist es jedoch erforderlich, sich zunächst mit den Facetten des Selbst auseinanderzusetzen, also den objektiv zugänglichen Eigenschaften des „Ichs“.
Woraus besteht das Wissen, das man über sich selbst besitzt und woher stammt es?
Das Wissen über das eigene Selbst wird im Laufe des Lebens erworben. Es entstammt verschiedenen Quellen und wird ständig aktualisiert. Wichtige Quellen sind Sinneserfahrungen, insbesondere die Wahrnehmung des eigenen Körpers durch verschiedene Sinnesorgane, aber auch episodische Erfahrungen zu eigenen Erlebnissen und Verhaltensweisen, sowie die Kenntnis von Zuschreibungen, die andere Personen vornehmen. Dieses Wissen über das eigene Selbst erlaubt zum Beispiel, sich auf Bildern wiederzuerkennen, Erwartungen hinsichtlich des eigenen Verhaltens vorzunehmen, sowie sich selbst Eigenschaften zuzuschreiben.
Sigmund Freud hatte das Selbst als „Ich“ im Spannungsfeld zwischen Unbewusstem („Es“) und den von außen herangetragenen Ansprüchen („Über-Ich“) gesehen. In der modernen Psychologie werden Annahmen zum sozialen Rollenverhalten und zur Selbstwirksamkeit als besonders bedeutsame Facetten des Selbstwissens angesehen.
Verschiedene Rollen und die eigene Wirksamkeit
Annahmen darüber, wie man sich in bestimmten, auch ungewöhnlichen Situationen verhalten würde, werden jedoch mitunter enttäuscht, etwa wenn sich die betreffende Person tatsächlich in einer ungewöhnlichen Situation befindet. Eine Diskrepanz zwischen Selbsteinschätzung und der Selbstwahrnehmung beim tatsächlichen Handeln stört die Geschlossenheit des Selbstwissens und führt zu einem sogenannten Dissonanzempfinden. In der Folge entstehen Gedanken oder Handlungen, die einer Dissonanzreduktion dienen sollen. Unter Umständen kommt es zu Täuschungen anderer (siehe Lügen) oder Selbsttäuschungen (Lebenslügen).
In einem klassischen Experiment von Philip Zimbardo und Mitarbeitern (Stanford-Prison-Experiment 1971) erklärten sich 24 Studenten bereit, zwei Wochen lang in einem Gebäude als „Gefangene“ bzw. als „Gefangenenwärter“ zu leben. Nach sechs Tagen wurde das Experiment jedoch abgebrochen. Viele der Mitspieler kamen mit der von ihnen angenommenen Rolle offensichtlich nicht zurecht. „Wärter“ waren sadistisch geworden und „Gefangene“ brachen emotional zusammen. In den folgenden 1970ern wies der Psychologe Albert Bandura darauf hin, dass Ängste oder depressive Verstimmungen eher von Personen mit einer geringen Erwartung bezüglich der eigenen Selbstwirksamkeit entwickelt werden. Seither gilt die Selbstwirksamkeitserwartung als ein wichtiger Faktor in der Prävention und Therapie von Niedergeschlagenheit, Burnout und Depression (siehe Forschungsliteratur).
Wie kommt es, dass man sich selbst erlebt? Wie entsteht die Ich-Empfindung?
Kommen wir nun zur subjektiven Ich-Empfindung, meist auch als subjektives Erleben oder als Erste-Person-Perspektive bezeichnet. Subjektive Phänomene, bei denen man Akteur ist, wie „ich sehe“, „ich denke“ oder „ich handle“, deuten auf eine Rolle des „Aktivseins“ beim Ich-Bewusstseins hin. Wir haben bereits im Abschnitt über das Bewusstsein erwähnt, dass bei der Ich-Empfindung im Gehirn vor allem ein Teil des sogenannten MFC eine große Rolle spielt.
Sehen Sie nun einen Ausschnitt aus einer älteren Vorlesung. Die Qualität dieses Videos ist den damaligen Aufnahmebedingungen geschuldet. Es wird ein Experiment vorgestellt, in dem die Hirnaktivität beim selbst Handeln (also bei der „Ich-Empfindung“) gegenüber dem bloßen Beobachten erfasst wurde.
In der Umgebung des MFC werden Nervenzellen gefunden, die auf eine beobachtete soziale Bewegung motorisch reagieren, sogenannte Spiegelzellen. Tatsächlich setzt insbesondere das Sehen von Gesten und das Hören von Sprache eine soziale Zuordnung voraus, die das Selbst gegen andere abgrenzt. Dieser Sachverhalt legt die Vermutung nahe, dass das Ich-Erleben eine Art Selbstbeobachtung darstellt.
Darüber hinaus lässt sich die Meinung vertreten, dass die Fremdbeobachtung letztlich nur auf einem Abgleich mit Selbsterlebtem beruht. Tatsächlich tritt das Ich-Empfinden besonders deutlich in den Vordergrund, wenn eine Wahrnehmung überraschend erfolgt oder wenn ein Gedanke zu Erwartungen führt, die eine Diskrepanz zur Wahrnehmung aufweist. Aber auch, wenn eigene Verhaltensweisen (zum Beispiel Tätigkeitsdrang, siehe Motivation) oder eigene Einstellungen (zum Beispiel moralischer Art, siehe Moral) von denen anderer abweichen, entstehen gefühlsartige Empfindungen, die Ich-nah sind. Bei den genannten Beispielen lässt sich Aktivität in Hirnregionen beobachten, die in der Nähe des MFC liegen.
Allerdings stösst die Konstruktion des „Ichbewusstseins“ durch schlussfolgerndes Denekn rasch auf ein grundsätzliches philosophisches Problem. Dieses behandeln wir in einem Video im Kapitel über die Frage „Was kann der Mensch erkennen?“
Tipps zur Verbesserung und Stärkung des Selbstbildes
Das Wissen über das eigene Selbst entstammt vielen Quellen. Dennoch bildet es die eigene Person ab und fügt sich zu einer in sich geschlossenen Einheit. Im sozialen Bereich erlaubt das Selbst wechselnde Rollen. Hinsichtlich der Selbstwirksamkeit kann es zu falschen Einschätzungen kommen. Insofern bleibt das Selbst eine zerbrechliche Größe. Diskrepanzen zwischen Selbstbild und Selbstbeobachtung können zu Dissonanzen führen oder sogar zu ernsthaften Störungen im Verhaltensablauf führen. Folgen können sein: Selbst- oder Fremdtäuschungen, aber auch Blockaden im Verhalten. Die genaue Kenntnis der Wirkungen des eigenen Verhaltens im Bereich der Problembewältigung und im sozialen Miteinander ermöglicht eine freie und effiziente Entfaltung der vorhandenen Kompetenzen.
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