Was passiert beim Lernen im Gehirn? Gibt es Erkenntnisse aus der Hirnforschung, wie man besser lernen kann?
Lernen bedeutet, dass sich das Verhalten auf Grund von Umweltbedingungen auf Dauer verändert. Man spricht davon, dass ein Gedächtnis zum Wiedererkennen oder Erinnern entsteht oder sich eine Gewohnheit im Verhalten ausbildet. Momentane Anpassungen, weil man sich zum Beispiel gerade anstrengt, oder Verhaltensänderungen auf Grund von Reifung oder Wachstum, wie bei der Veränderung der Stimme in der Pubertät, werden nicht als Lernen verstanden. Das Gehirn lernt teilweise nach anderen Prinzipien, als sie bei KI und in künstlichen, lernenden Netzwerken üblich sind. Insbesondere sind die Mechanismen beim Wissenserwerb kompliziert und werden später im Kapitel Deklaratives Gedächtnis näher erklärt.
Ein universeller, neuronaler Lernmechanismus
Lernförderliche Umweltbedingungen werden so beschrieben, dass der Impuls, etwas Bestimmtes zu tun, in regelhafter Weise von einem Reiz begleitet wird („Kontingenz“). Dieser Reiz oder auch nur die Erwartung dieses Reizes begünstigt in der Folge den entsprechenden Tätigkeitsimpuls. Ein Beispiel: So kann etwa der Akt, ein hochprozentiges Getränk zu sich zu nehmen, häufiger mit einem Aufenthalt in netter Gesellschaft verknüpft sein. Ein Aufenthalt in netter Gesellschaft begünstigt in der Folge den Impuls, Alkohol zu trinken. Nach hinreichender Lernerfahrung kann schon der Gedanke an Gesellschaft das Bedürfnis nach Alkohol wecken, gerade auch dann, wenn eine solche Gesellschaft mit Bedauern vermisst wird.

Beispiel für ein lernfähiges Nervennetzwerk. Zwei Nervenfasern enden an einer gemeinsamen Kontaktstelle (Synapse). Die beiden Fasern beeinflussen die beiden Nervenzellen (Neurone) zunächst kaum. Wenn sie jedoch zufällig gleichzeitig aktiv sind, wird z.B. die Synapse im Bild rechts oben sensibel. ln der Folge ist diese Synapse imstande, die linke Nervenzelle schon beim Auftreten des passenden Reizes in hohem Maße zu erregen.
Wenn bestimmte Reize, zum Beispiel beim Aufsuchen des eigenen Arbeitsplatzes, zusammen mit Handlungsimpulsen, zum Beispiel der Lust auf ein zweites Frühstück, mehrmals vorkommen, so spricht man von Kontingenz. Kontingenzen unterstützen stets automatisch Lernvorgänge. Als besonders lernförderlich gelten Kontingenzen, die in einer Situation deutlich merkbar auftreten. Sie erzeugen Erregungen, die ein einfaches Aufmerkzentrum, die sogenannte VTA (Area tegmentalis ventralis), erreichen und den in der linken Abbildung dargestellten Lerninput bewirken. Die VTA bildet zusammen mit einem motorischen Gebiet (Nucleus accumbens) das „Belohnungszentrum“ (s. Bild unten). Lernen setzt außerdem lernfähige Nervenzellverbände voraus, die imstande sind, einen Handlungsimpuls mit einem regelhaft, in der Situation jedoch unerwartet auftretenden Reiz (Schrecksignal, Belohnung) zu verknüpfen.
Lernfähige Nervenzellverbände hat man bei Weichtieren (Schnecken und Tintenfischen) und bei allen Wirbeltieren (einschließlich Mensch) gefunden, und zwar in jeweils zunehmendem Umfang. Einige solcher Nervenzellverbände sind gut untersucht (s. Forschungsliteratur). Je nach lernfähigem Hirnteil (Mandelkern, Basalkern) und unterschieden nach typischen Untersuchungsanordnungen teilt man Lernen oft ein in klassisches und operantes Lernen. Den dem Lernen zugrundeliegenden Vorgang bezeichnet man als Konditionierung, die lernunterstützenden Maßnahmen als Lernumgebung.
Die zwei grundlegenden Lernprinzipien
Das Thema Lernen gehört zu den Grundlagenthemen. Lernen Sie in einem Video eine Zusammenfassung über die biologischen Grundlagen menschlicher Lernfähigkeit kennen:
Neuropsychologie des Zusammenhangslernens (Klassisches Lernen)
Ein Beispiel für klassisches Lernen ist der folgende Effekt: Mit einem Strohhalm bläst eine Person vorsichtig etwas Luft gegen das Auge einer anderen Person. Diese wird das Auge reflexartig kurz schließen. Nun wird während des Luftzugs kurzzeitig ein Klingelton eingeschaltet. Nach einigen Wiederholungen zuckt das Augenlid schon, wenn nur der Klingelton ertönt. Der nichterwartete Klingelton führt über lange Nervenfortsätze in einem dichtgeknüpften Netzwerk des Kleinhirns zu verschiedenen, zunächst unbedeutenden Erregungsprozessen. Die Tatsache jedoch, dass dort gleichzeitig die Reflexbahn für den Lidschlag zu einer Nervenbahn-Erregung führt, veranlasst eine überdauernde Verstärkung in einer bisher nicht benützten Verbindung zwischen den beiden Bahnen.
Spezialthema: Klassische Konditionierung
Hören Sie sich eine vertiefende Audio-Datei zum Lernen nach dem Prinzip der klassischen Konditionierung an:
Neuropsychologie des Lernens am Erfolg (Operantes Lernen)
Ein Beispiel für operantes Lernen ist der folgende Effekt: Ein Kind spielt mit einem komplizierten Computerspiel, bei dem es „gute“ und „schlechte“ Spielzüge gibt. Eine Person, der das Kind vertraut, sitzt daneben und beobachtet die gewählten Spielzüge. Immer dann wenn ein guter Spielzug gewählt wurde, sagt die Person „Ja“. Das Kind wird in der Folge zunehmend häufiger „gute“ Züge wählen und zwar schneller als mit einer Strategie nach Versuch und Irrtum. Bemerkenswerter Weise erfolgt das Lernen besonders gut, wenn das „Ja“ nicht nach jedem „guten“ Zug folgt, sondern nur öfters mal. Ansonsten würde das „Ja“ allmählich überhört werden.
Das „Ja“ löst eine automatisierte Erfolgserwartung aus, die über lange Nervenfortsätze in einem dichtgeknüpften Netzwerks der Basalkerne im Gehirn zu verschiedenen, zunächst unbedeutenden Erregungsprozessen führt. Da dort jedoch auch die Handlungen für die Spielzüge vorbereitet werden, werden gleichzeitig andere Nervenbahnen erregt. Das führt zu einer überdauernden Verstärkung in einer bisher nicht benützten Verbindung zwischen zwei Bahnen, von denen die eine für das Verhalten und die andere für die Erfolgserwartung bedeutsam ist („Belohnungszentrum“, siehe oben).
Spezialthema: Operante Konditionierung
Hören Sie sich eine vertiefende Audio-Datei zum Lernen nach dem Prinzip der operanten Konditionierung an:
Tipps zum Lernen
Es gibt viele Arten des Lernens!
Menschen unterscheiden sich deutlich von Tieren (auch von Affen), weil sie immens viel lernen können. Daher beschäftigen sich die Psychologen hauptsächlich damit, was Menschen gelernt haben und was eine bestimmte Person noch lernen könnte.
Jeder Mensch ist gut beraten, sich Gedanken über seine eigenen Gewohnheiten zu machen. Es ist sehr hilfreich, wenn man seine eignen Fähigkeiten einschätzen kann. Wenn man gerne „anders sein“ möchte, das heißt eine neue Gewohnheit aufbauen will, führt kein Weg daran vorbei, es auch zu tun. Sie brauchen auch nicht ständig auf eine Belohnung zu achten. Der Lohn liegt in der Regel darin, dass sie es schaffen. Durch wiederholtes Tun entstehen Gewohnheiten, die zu einer „zweiten“ Natur werden können. Gute Gewohnheiten zu entwickeln, ist die Voraussetzung für ein zufriedenes Leben.
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