Kategoriales und regelgeleitetes Denken

Denken ist wohl eine der faszinierendsten Leistungen, die unser Gehirn hervorbringt. Was passiert im Gehirn, wenn wir denken? Welche Erkenntnisse liefert die Hirnforschung damit uns diese Leistung noch besser gelingt und wir nicht in Denkfallen geraten?

Das menschliche Denken beruht auf der Informationsverarbeitung der Nervennetzwerke in der Großhirnrinde, also in der gewundenen Oberfläche des Gehirns. Das Video über „Verstehen und Denken“ aus dem Kapitel über Wahrnehmung veranschaulicht diesen Sachverhalt. Denken kann unbewusst und in verschiedenen Graden bewusst erfolgen.

Die moderne Psychologie lehrt uns, dass Denkprozesse zu Erkenntnissen führen, die uns handlungsfähig machen. Beim aufmerksamen Denken wird in der Regel das Stirnhirn beteiligt. Ist das nicht oder nur unzureichend er Fall, kann es passieren, dass man beim Denken gewissermaßen stolpert oder in eine Denkfalle läuft.

Wenn bestimmte Funktionen durch Verletzung, Ablenkung oder Unachtsamkeit nicht greifen, kommt es zu typischen Denkfehlern. In der Hirnforschung werden solche Fälle genau analysiert. Denn aus Denkfehlern kann man viel über richtiges Denken lernen. Durch Verständnis des Zusammenspiels von den verschiedenen Hirnfunktionen können beispielsweise auch häufige Denkfallen vermieden werden. Dazu muss man vor allem wissen, dass das Denken durch Klassifizierung und Kategorisierung stets Gesetzen der Informationsverarbeitung folgt, die man bereits bei Tieren beobachtet (s. Forschungsliteratur). Daraus ergeben sich dann die Regeln für das schlussfolgernde Denken.

Mehrere ähnliche Dinge bilden eine gemeinsame Klasse

Unter Klassifizierung versteht man das Zusammenfassen einzelner Objekte oder Sachverhalte auf Grund gemeinsamer Eigenschaften unter Vernachlässigung anderer Eigenschaften. Tatsächlich werden im Gehirn bereits bei der Wahrnehmung Eigenschaften von Dingen entdeckt, die der Folge automatisch zu einem Objekt oder einem Sachverhalt zusammengebunden werden (s. Forschungsliteratur).

Ein Stuhl kann rot angestrichen sein und vier Beine, sowie eine mit gepolsterte Sitzfläche und zwei Armlehnen besitzen. In der Regel sind rote Farbe, Polsterung und Armlehnen nicht erforderlich, um einen Gegenstand als Stuhl zu erkennen. Eigenschaftsarme Konzepte sind abstrakter als eigenschaftsreiche. Sie sind in den sogenannten assoziativen Netzwerken des Gehirns verankert und benötigen in der Regel nur wenig Speicherplatz (siehe Gedächtnis). Sie sind oft direkt mit bestimmten, oft verwendeten Eigenschaftskombinationen (Prototypen) assoziiert. Weitere Informationen über Netzwerkaktivitäten finden Sie im Kapitel „Denken braucht Zeit“.

Allerdings gibt es auch Zusammenfassungen auf Grund von sogenannter „Familienähnlichkeit“, wo dann das Vorkommen einer speziellen Eigenschaft oder auch das einer bestimmten anderen typisch ist, ohne dass zwingend beide Eigenschaften vertreten sind. Die Zugehörigkeit zu einer Familie wird dann zum Beispiel auf Grund „der Augenpartie“ oder auf Grund der „Mundform“ erkannt, wobei nicht beide Merkmale gemeinsam auftreten müssen.

Bezeichnungen und kategorisches Wissen

Wenn beim Denken sehr lockere Assoziationen zum Tragen kommen, entstehen Denkprobleme.
Daher existiert für viele Klassen von Dingen und Sachverhalten im Gedächtnis ein fester Repräsentant, der mit den charakterisierenden Eigenschaften gar nichts zu tun hat, zum Beispiel ein Symbol, wie zum Beispiel eine Ziffer, oder eine verbale Bezeichnung, wie zum Beispiel das Wort „Stuhl“. In diesem Fall spricht man von Kategorisierung.

In der Neurokognition geht man davon aus, dass Eigenschafts- und Episodenwissen eher rechtshemisphärisch und Kategorie-Wissen eher linkshemisphärisch gespeichert wird. Es gab einen Patienten mit einer rechtshemisphärischen Gehirnverletzung, der wusste, dass der Kilimandscharo der höchste Berg von Tansania ist. Er wusste aber nicht viel mehr über diesen Berg zu berichten und wusste auch nicht mehr, dass er diesen Berg schon einmal bestiegen hatte (zu Fragen der Lateralisierung vgl. die Audio-Datei auf der Seite über das Gehirn, sowie die Funktionen des Gehirns beim Sprachverständnis).
Hier finden Sie eine Audio-Datei über Besonderheiten des Denkens und der Verwendung von Wissen:

Was sich durch Übung leicht verändern lässt

Auf Grund von Kategorie- und Eigenschaftswissen werden im Denken ständig Erwartungen über Eigenschaftskombinationen aufgebaut. Solche Erwartungen bilden die Grundlage für induktives und schlussfolgerndes Denken (siehe auch Kapitel über Zusammenhänge und Ursachen). In diesem Zusammenhang wurden in der Neurokognition zahlreiche unerwartete Phänomene beobachtet. Es ist zwar relativ einfach, Reihenfolgen zu erkennen: 8 ist größer als 4. Man macht jedoch leichter einen Fehler bei der Entscheidung der Zifferngröße, wenn die Ziffern eng beieinander liegen. Bei 6 und 4 vertut man sich unter Zeitdruck leichter als bei 9 und 4. Es ist auch schwierig, wenn man unter Zeitdruck entscheiden soll, ob die Anzahl an Elementen einer Punktwolke eine größere Menge darstellt als es die Ziffer 6. Die beiden Alternativen müssen erst einmal durch verschiedene Hirnhälften erfasst, bevor sie verglichen werden können.

Das Denken ist rasch überfordert, wenn man zu viele Eigenschaften zugleich beachten soll (siehe Problemlösen). Daher hilft es im Alltag, wenn man auf Verfahrensregeln und Algorithmen zurückgreifen kann, zum Beispiel das Vorgehen bei Dreisatzaufgaben: Ein Autofahrer braucht für 125 km eine Stunde und 15 Minuten. Wie hoch war seine Durchschnittsgeschwindigkeit? Kompetenzen erwirbt man durch wiederholte Übung und Expertise durch die lange Beschäftigung mit einem Gegenstandbereich.

Konzentration und Fantasie. Wenn man zwei Zahlen multipliziert, sind nur wenige Teile der Hirnrinde beschäftigt (links). Der Gedächtniskünstler Rüdiger Gamm beansprucht bei der gleichen Tätigkeit einen großen Teil der Hirnrinde (rechts). Auf Grund seiner Übung versteht er es, den Zahlen gewissermaßen „Leben“ zu verleihen und kann dadurch mit ihnen letztlich wesentlich souveräner umgehen.

Durch Beschäftigung und Übung wird zunächst die Nutzung eines möglicherweise sehr schmalen Gedächtnisbereichs trainiert, sodass die Anwendung immer ökonomischer erfolgen kann. So kann es nützlich sein, sich häufig anwendbare Regeln oder Problemlösungen einfach als Wissen zu merken, zum Beispiel die Reihe der Zweierpotenzen oder die Regel „Der Klügere gibt nach“. Bei ausgedehntem Training werden darüber hinaus die entsprechenden Konzepte mit immer neuen Eigenschaften verknüpft. Das bedeutet, dass gut Gelerntes mit vielen Teilen des Gedächtnisses verknüpft ist und Spuren in zahlreichen Netzwerken hinterlassen, was den Abruf enorm erleichtert. Daher beanspruchen Genies auch bei einfachsten Sachverhalten einen größeren Teil des Gehirns als Laien.

Tipps zum Denken

Vertrauen Sie nicht zu sehr darauf, immer genau zu wissen, was sich hinter einem Begriff, einer symbolischen Äußerung oder einer Bewegung verbirgt. Achten Sie darauf, im Zweifelsfall mehr Informationen einzuholen, um Hörensagenwissen oder einen ersten Eindruck zu ergänzen. Wenn sie viel mit grundsätzlich eigenschaftsarmen Konzepten (Zahlen, Akten) zu tun haben, so können Sie versuchen, solchen Dingen „Leben einzuhauchen“, indem sie fantasievoll Eigenschaften ergänzen, die natürlich nichts verfälschen dürfen. Für Rechenkünstler sind zum Beispiel manche Zahlen „dünn“ oder „lebhaft“.

Um Experte in einem Bereich zu werden, sollten Sie viel Zeit und Durchhaltevermögen investieren. Klaviervirtuosen, Schachmeister, hervorragende Künstler und auch herausragende Wissenschaftler haben sich im Schnitt etwa 10.000 Stunden mit ihrem Spezialgebiet beschäftigt.

Tipps für klügere Entscheidungen

Die Berücksichtigung mehrerer Aspekte der folgenden kognitiven Fähigkeitsbereiche erhöht die Wahrscheinlichkeit von klügeren Entscheidungen:

  • Sich orientieren
  • Gelerntes verwenden
  • Wahrscheinlichkeiten berücksichtigen
  • Zusammenhänge erkennen
  • Sich engagieren
  • Erfahrungen anzweifeln
  • Bewertungen vornehmen

Jeden dieser Fähigkeitsbereiche kann man trainieren und damit auch seine Klugheit steigern.

Buchempfehlungen zur Vertiefung einzelner Themen

buch1_warum_ich_weiss
Grundlegende Aspekte zum Denken und mehr über das Denken von Genies und Rechenkünstlern.

 

buch2_klugheit
Grundlegende Aspekte zum Denken und mehr zur Bedeutung des bewussten Denkens sowie Anmerkungen zum Gehirn von Albert Einstein.
Mehr über die sieben Säulen der Intelligenz und wie sie im Gehirn enstehen.

 


Lesen Sie, wie man auch ohne die Berücksichtigung logischer Gesetze vernünftig denken kann.

 


Wie Sie es vermeiden, in eine Denkfalle zu geraten.

 


Erfahren Sie mehr über das linke und rechte Gehirn.

 

Zurück zum Seitenanfang und zum Menü