Auf welche Weise prägt sich Wissen in das Gehirn ein? Und wie können Erinnerungen später gezielt abgerufen werden?
Das frei abrufbare, deklarierbare Wissen über die Welt oder über selbsterlebte Episoden nennt man deklaratives Gedächtnis. Es wird von impliziten, d.h. rein motorischen oder Gewohnheiten steuernden oder emotionalen Gedächtnisformen unterschieden (s. dazu das Kapitel Gedächtnis). Es gibt also verschiedene Gedächtnisformen. Außerdem erfolgt das Einprägen im Wissensgedächtnis auf besondere Weise und nach völlig anderen Prinzipien als dies etwa in der KI oder bei künstlichen, lernenden Netzwerken der Fall ist. Zum deklarativen Gedächtnis gehört selbstverständlich auch das Wiedererkennen von Sachverhalten. Darüber hinaus ist die Fähigkeit von Interesse, Wissen auf Grund von indirekten Hinweisen abrufen zu können.
Die Speicherorte des deklarativen Gedächtnisses liegen auf der Großhirnrinde, vor allem im unteren Scheitellappen und im Schläfenlappen. Wissen ist eher in der linken Hemisphäre und Selbsterlebtes eher in der rechten verankert (s. z.B. das Video darüber, wie Menschen über andere nachdenken, im Kapitel Perspektivenübernahme).
Eine eigene Hirnstruktur, der Hippocampus, dient dem Einprägen und dem Abruf von deklarierbarer Information. Aus Tierbefunden weiß man, dass die Fähigkeit zum Einprägen und zum Abruf von episodischen und Wissens-Informationen in der Evolution an die jeweilige Ortsinformationen gebunden war. Eine alte Studie an Taxifahrern konnte glaubhaft machen, dass altgediente Taxifahrer einen größeren Hippocampus besitzen als unerfahrene, vor allem rechtsseitig (s. Forschungsliteratur). Gedächtniskünstler verwenden oft Assoziationen zu Orten oder gedankliche Spaziergänge, um sich schwer zu merkende Listen von Gegenständen zu einzuprägen.
Ein besonderes Problem ist die Frage nach der Genauigkeit und Vollständigkeit einer Erinnerung. Es kann sein, dass beim Abruf eines Gedächtnisses der zugehörige Kontext (Details, Umgebung, Quelle) nicht komplett aktiviert wird und somit nicht reproduziert werden kann. Das lässt sich manchmal durch eine wiederholte, entspannte Gedächtnissuche nachholen. In den meisten Fällen ist jedoch das Gedächtnis selbst lückenhaft. Der Abruf erfolgt meistens durch eine aufmerksame Unterstützung durch das Stirnhirn, wobei dann Details oft unwillkürlich ergänzt werden. Unfallzeugen, die sich nur einige Einzelheiten des Hergangs eines Verkehrsunfalls gemerkt haben, rekonstruieren diese Gedächtnisspuren zu deklarierbaren Erinnerungen meistens mit Hilfe ihres allgemeinen Wissens über Verkehrssituationen. Unter Umständen lassen sich erlebnisbasierte und verfälschte Erinnerungen beim Abruf im Hirnstrombild unterscheiden (s. Forschungsliteratur).
Spezialthema: Neurologie der Hippocampus-Funktionen
Sehen Sie hier ein Video über die Funktionen des Hippocampus beim Einprägen und Abrufen von Wissensinformationen. Die im Video angesprochene Merkstrategie des inneren Wiederholens wurde bereits in der Audiodatei zum Merken und Einprägen im Kapitel Gedächtnis erklärt.
Die Veränderungen des Gedächtnisses beim Abruf, die im Video beschrieben wurden, bilden auch die Grundlage für suggerierte Gedächtnisse. Zu den praktischen Auswirkungen der beschriebenen Gedächtnisprozesse finden Sie z.B. im Video über die sogenannte Verdrängung vertiefende Informationen (siehe Kapitel Psychoanalytische Begriffe).
Historisches: Der berühmte Patient H.M.
Wichtige Informationen über die Bedeutung des Hippocampus für Gedächtnisfunktionen lieferte der Patient H.M. Diesem wurde 1953 der Hippocampus aus beiden Hemisphären entfernt. Man wollte ihn von einer unheilbaren Epilepsie befreien. Stattdessen wurde sein Gedächtnis massiv gestört. Sehen Sie dazu das folgende Video.
Buchempfehlungen zur Vertiefung einzelner Themen
Detaillierte Informationen über die Funktionen des Hippocampus.
Mehr über den Nutzen, sich erinnern zu können und eine vereinfachte Darstellung der Hippocampusfunktionen.